Durchbruch in der Digitalisierung des Gesundheitswesens?
Wo stehen wir?
Industrie 4.0, Internet of things, Digitalisierung im Gesundheitswesen, e-Health, Krankenhaus der Zukunft – seit mehreren Jahren lesen und hören wir in Deutschland und Europa Schlagworte dieser Art. Umgesetzt wurde bis heute aber herzlich wenig. Dabei sind die einzelnen Teilbereiche durchaus digitalisiert. Diagnostische Geräte der Hersteller im Gesundheitswesen sind „smart“ geworden, Verbrauchsmittel werden mittels komplexer Software und Prozessen optimal bevorratet, ja bis hinunter zu „Wearables“, die den akuten Gesundheitszustand der Menschen beobachten, sind die einzelnen Komponenten der Wertschöpfungs-, Diagnostik- und Behandlungskette digital aufgerüstet oder gar neu entwickelt worden.
Auch die Politik hat versucht, einiges an Rahmenbedingungen geschaffen, um unser Land von einem der hinteren Plätze in Europa in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen nach vorne zu bringen. So ist beispielsweise seit Anfang des Jahres die elektronische Patientenakte gesetzlich verankert und sollte für alle Bürger*innen des Landes verfügbar sein. Sollte! Tatsächlich verfügbar ist sie nämlich nicht.
Woran liegt das?
Und was brauchen wir für einen Durchbruch in der Digitalisierung des Gesundheitswesens?
Zum einen muss man erkennen, dass der rasante technische Fortschritt mit einer nach wie vor exponentiellen Entwicklung von Speicherkapazitäten und Rechenleistung es nahezu unmöglich macht, regulatorisch noch Schritt zu halten. Hinzu kommt ein sprunghafter Wandel der Bevölkerung in Richtung digitaler Kommunikation in den Home-Offices oder im Bereich von Home Schooling und bei der App-Anwendungen mittels Smartphones (inkl. Social Media). Wir benötigen deshalb ein Umdenken in der Politik. Wir müssen uns von dem mehr und mehr vergeblichen Versuch der Regelung von Details lösen und generalistisch auf die Einführung von Rahmenbedingungen konzentrieren, innerhalb derer wir der technischen Entwicklung „freien Lauf“ lassen.
Zum anderen müssen wir die einzelnen Komponenten weit über die bestehenden regulatorischen Grenzen hinaus vernetzen und die dafür notwendigen Regelungen für eine Datenverwaltung in den Gesetzen zum Datenschutz und zur Datensicherheit verankern. In diesem Bereich ist es auch zwingend erforderlich, über die föderalistische Struktur des Datenschutzes in unserem Land nachzudenken. Wenn die Welt digital kommuniziert, kann es nicht sein, dass der Datenschutz dies in Deutschland an den Landesgrenzen der Bundesländer erschwert oder gar verhindert, weil jedes Land „sein eigenes Süppchen kocht“.
In einem Bundesland übergreifenden Modell-Projekt könnten Berlin und Brandenburg exemplarisch zeigen, wie viel Mehrwert für alle Beteiligten vernünftige, neue Rahmenbedingungen und die Vernetzung von allen Komponenten im Gesundheitswesen bringen würde.
Und wer soll das bezahlen?
Die entstehenden Synergie-Effekte, von früher diagnostizierten und damit besser zu behandelnden Krankheiten, über die optimierten Wirtschaftsprozesse im Gesundheitswesen, insbesondere in Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren, bis hin zum volkswirtschaftlichen Nutzen bei der Verringerung und Vermeidung krankheitsbedingter Ausfälle in der Wirtschaft, gibt es genügend eingespartes Geld, um sämtliche notwendigen Rahmenbedingungen zu erfüllen. Davon bin ich überzeugt. Und, wenn das nicht reicht, könnte man durch Streichung unnützer Modellprojekte und von vorneherein zum Scheitern verurteilter Vorhaben (Stichwort e-Gesundheitskarte) sicher auch noch Mittel einsparen, um eine Gegenfinanzierung dazustellen.
Dr. Jürgen Reiner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des KKC