Foundations of Real-World Economics.

» Artikel veröffentlicht am 08.09.24, von

 John Komlos: Foundations of Real-World Economics. What Every Economics Student Needs to Know.  Buch, 3. Auflage, Englisch, Routledge, New York 2023. 420 Seiten. ISBN 978-1-032-00484-6, gebundene Ausgabe 182,95 EUR (D), Taschenbuch 64,95 EUR, E-Book 54,40 (D).

Themenstellung und Inhalt

 Seit mehreren Jahrzehnten gab es immer wieder Versuche, die Wirtschaftstheorie zu modernisieren und zu humanisieren. Insbesondere ging es seit den 1970er Jahren um die Humanisierung der Arbeitswelt. Ab dem Jahr 1974 förderte beispielsweise die deutsche Bundesregierung das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“. Bis zum Ende des Programms im Jahr 1989 wurden 1600 betriebliche Programme gefördert, die zu einer besseren Arbeitsgestaltung und Reduzierung von Belastungen der arbeitenden Menschen, zu mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz, zu einer Qualifizierungsinitiative in den Unternehmen und zu mehr Demokratie im Arbeitsprozess führten.

Zu den Vertretern alternativer humaner Wirtschaftstheorien gehört John Komlos, der als Autor des Fach- und Lehrbuches „Grundlagen der Realweltökonomie – Was jeder Wirtschaftsstudent wissen muss“ die Studierenden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu neuen ökonomischen Denkweisen anregen will. Er ist ein anerkannter amerikanischer Wirtschaftshistoriker ungarischer Abstammung. Als Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte lehrte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Harvard University in Boston in Massachusetts, der Duke University in Durham in North Carolina, der University of North Carolina in Chapel Hill und der ältesten Universität im deutschen Sprachraum, der Universität Wien. Komlos war der Gründungsherausgeber der akademischen Zeitschrift Economics and Human Biology. Er war außerdem Autor des US-amerikanischen PBS-Kanals über aktuelle Wirtschaftsthemen, der auch in Deutschland über Satelliten in englischer Sprache empfangen werden kann.

Komlos hat die Vorstellung, dass die Wirtschaftstheorie nach der Finanzkrise von 2007/2008 neu ausgerichtet werden muss und das Lehrbuchmaterial für Studierende der Wirtschaftswissenschaften in diesem Sinne zu verändern ist. Daher kritisiert er in seinem Buch die derzeitig gültige und seit langer Zeit unveränderte Wirtschaftstheorie und ihre Vertreter. Er analysiert und kritisiert die gängigen ökonomischen Realitäten. Zugleich bietet Komlos humane Alternativen für eine neue Wirtschaftspolitik an, die zu einer Reformierung des Kapitalismus mit menschlichem Antlitz führen kann. Seine Darlegungen illustriert Komlos mit aussagekräftigen Grafiken, Daten und Tabellen, die der amerikanischen Realität entnommen sind. die die Dynamik der US-Wirtschaft unter den verschiedenen Präsidenten der USA aufzeigen. Die wirtschaftspolitische Entwicklung und insbesondere die strategische Ausrichtung der Industriepolitik Deutschlands wird von ihm gelobt. Allerdings durchlebt die deutsche Wirtschaft gegenwärtig eine strukturelle Krise.

Interessante Aussagen macht Komlos zum Markt und zum Marktgeschehen. Sie implizieren eine Kritik an der Verbrauchersouveränität. Er spricht vom Konsumismus, der in der modernen Wirtschaft besteht.

Komlos sieht die technologischen Innovationen zwar als Quelle des Wachstums an, macht aber zugleich deutlich, dass nicht alle Innovationen für die menschliche Gesellschaft wünschenswert sind. Innovationen im Finanzsektor sind mitunter mit negativen externen Effekten verbunden. In diesem Zusammenhang spricht er von destruktiver Innovation. Der Autor ist unzufrieden mit dem wirtschaftlichen Meinungsaustausch der Ökonomen zur Arbeitslosigkeit. Seine Kritik richtet sich auf die offizielle Aussage, dass die US-amerikanische Wirtschaft seit 2019 Vollbeschäftigung erreicht habe. Seiner Meinung nach gebe es eine deutlich versteckte Arbeitslosigkeit.

Komlos hat auch analytisches Interesse am ökologischen Bereich der Wirtschaft. Er befasst sich mit feministischen wirtschaftlichen Aspekten. Er tritt für die Globalisierung und den freien Handel ein, solange das Pareto-Prinzip, nachdem mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes 80 Prozent des Gesamtergebnisses erreicht wird, tatsächlich optimal funktioniert und nicht nur theoretisch vorgegeben ist.

Das vorliegende anwendungsorientierte Fach- und Lehrbuch setzt an den speziellen modernen Rahmen­bedingungen einer reformierten Ökonomie mit seinen Ressourcen an und vermittelt dem interessierten Leser die Zusammenhänge einer humanistischen Ökonomie, die im 21. Jahrhundert an Bedeutung gewinnen wird. Er gibt eine schlüs­sige Antwort auf die neuen Inhalte und Herausforderungen für ein verändertes wirtschaftliches Denken der Zukunft.

Aufbau und thematische Gestaltung

 Das vorliegende Fach- und Lehrbuch ist in 18 Kapitel gegliedert. Es hat inhaltlich einen hohen Nutzen für Lehrende und Studierende auf den Gebieten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Der Autor John Komlos führt im ersten Kapitel die Leserinnen und Leser in die Problemstellung der Realweltökonomie ein. Das zweite Kapitel setzt sich mit der Marktmacht auseinander. Märkte sind weder allwissend noch allmächtig. Daher darf der Realitätsbezug nicht vernachlässigt werden.

Im dritten Kapitel erörtert der Autor die Natur der Nachfrage. Nachfrageprognosen oder Demand Forecasting sind bei Unternehmen sehr beliebt, um die Nachfrage nach Produkten oder Dienstleistungen vorherzusagen. Die Bedarfsprognosen beziehen sich meist auf Daten aus zurückliegenden Zeiträumen und nutzen Hochrechnungen von Mitwettbewerbern. Damit wird eingeschätzt, wie viele Produkte oder Dienstleistungen sich in einem definierten Zeitraum am Markt absetzen lassen. Komlos zeigt auf, dass vereinfachte Modelle des perfekten Wettbewerbs nicht auf die reale Welt anwendbar sind.

Im vierten Kapitel behauptet Komlos, der Homo oecomonomus ist ausgestorben. Der Mensch ist viel komplexer, als von den Wirtschaftswissenschaftlern bisher beschrieben. Das führt zu einer neuen Grundlage der Verhaltensökonomie und zu neuen Rahmenbedingungen im wirtschaftlichen Bereich. Im fünften Kapitel wendet sich der Autor den Geschmacksrichtungen und dem Konsum der Verbraucher zu, die sich jederzeit auch ändern können.

Das sechste Kapitel ist überschrieben mit Oligopol und unvollkommene Konkurrenz. Der Begriff Oligopol wurde aus den altgrischichen Wörtern oligoi pōlein gebildet. Bei diesem Marktmodell gibt es entweder wenige Anbieter als Verkäufer und viele Nachfrager als Käufer oder wenige Nachfrager als Käufer und viele Anbieter als Verkäufer auf. Im Fall von nur zwei Verkäufern und vielen Nachfragern spricht man in der Ökonomie von Dyopol. Ein besonderes Problem ist, dass in die Gewinnfunktion des einzelnen Oligopolisten Größen eingehen, auf die er selbst keinen Einfluss ausüben kann. Andererseits haben Oligopole direkte Auswirkungen auf den Mindestlohn der Beschäftigten.

Im siebenten Kapitel fordert der Autor auf, zu den traditionellen Produktionsfaktoren zurückzukehren. Einen besonderen Bezug stellt er zum Humankapitel, den arbeitenden Menschen her. Im achten Kapitel setzt sich Komlos mit der Überwachung und dem Management von Märkten auseinander.

Im neunten Kapitel betrachtet der Autor das mikroökonomische Verhalten einzelner Wirtschaftsobjekte. Die Mikroökonomie analysiert ökonomische Entscheidungen von Individuen und untersucht die Funktionsweise ökonomischer Koordinationsmechanismen. Sie analysiert das Verhalten der einzelnen Wirtschaftssubjekte und die Häufigkeit ihrer Handlungen bei unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen. Die Handelnden sind primär die Konsumenten, die Produzenten, der Staat, die Kapitaleigner usw.  Für die Mikroökonomie sind die Ziele relevant, die das Individuum verfolgt.

In den Kapiteln zehn bis zwölf setzt sich der Autor sehr ausführlich mit der Makroökonomie auseinander, die sich vor allem mit dem Wachstum und der Entwicklung von Volkswirtschaften befasst. Der Gegenstand der Untersuchungen sind die Ursachen und die Folgen von Wachstum, Konjunktur, Nachhaltigkeit, Geldpolitik, Zinsanpassungen, Inflation, Arbeitslosigkeit oder Ungleichheit.

Das dreizehnte Kapitel hat der Autor mit „Der Tsunami der Globalisierung“ überschrieben. Komlos weist darauf hin, dass die Globalisierung dazu geführt hat, dass Millionen von Arbeitsplätzen von den USA nach Asien verlegt wurden. Es gab Gewinner und Verlierer, und die Verlierer rebellierten letztlich gegen das neoliberale System. Dennoch sieht er in der Globalisierung der Wirtschaft große Vorteile, die sich vor allem im Handel widerspiegeln. Die ökonomische Wohlfahrt in Märkten mit internationalem Wettbewerb erhöht sich. Die Preise und Mengen verändern sich durch den internationalen Wettbewerb. Die Erhebung eines Zolls wirkt sich auf das Marktergebnis aus. Daraus ergibt sich die Frage: Wie sollte ein Unternehmen mit Marktmacht seine Preispolitik gestalten?

Im vierzehnten Kapitel hinterfragt Komlos sehr kritisch die Finanzkrise aus dem Jahr 2008. Er kritisiert den damals eingeführten finanziellen Rettungsmechanismus, der seit dieser Zeit auch weiterhin besteht und angewandt wird. Vor allem die Tatsache, dass der Staat uneingeschränkt Geld zur Verfügung stellt, wird von ihm mit Skepsis betrachtet.

Im fünfzehnten Kapitel setzt sich Komlos mit dem Populismus von Wirtschaftswissenschaftlern auseinander. Er vertritt die Meinung, dass die Fehler der Ökonomen zu rechtsgerichtetem Populismus führen. In diesem Kapitel analysiert er die Dynamik und betrachtet näher die Entwicklung der US-Wirtschaft in den Amtszeiten der Präsidenten der USA Ronald Reagan, George Bush Sr., Bill Clinton, George Bush Jr. und Barack Obama.

Im sechzehnten Kapitel konzentriert sich der Autor auf versteckte rassistische Elemente in der Blackboard-Ökonomie. Im siebzehnten Kapitel wendet sich Komlos den wirtschaftlichen Verwerfungen zu, die die Covid-19 Pandemie verursacht hat. Er spricht von tiefen Rissen und begrenzten Ungleichgewichten, die in der Wirtschaft sichtbar geworden sind.

Im abschließenden achtzehnen Kapitel gelangt der Autor zur Schlussfolgerung, dass ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz in Zukunft erforderlich ist. Offen bleibt die Frage, ob und wann das von Komlos entworfene Ideal einer humanisierten Ökonomisierung der Wirtschaft überhaupt möglich werden wird. Wenn es gelingen soll, müssen zweifellos die Politik und die verantwortlichen Wirtschaftswissenschaftler aktiv dazu beitragen, dass der humanistische Kapitalismus überall auf der Welt zum Leitprinzip wird. Doch davon sind wir gegenwärtig noch weit entfernt.

Alle Kapitel enden mit Diskussionsfragen. Das Buch enthält einen ausführlichen Index, was das Auffinden spezieller Fragen sehr erleichtert.

 Fazit

 Dem Autor gelingt es, die Leserinnen und Leser des Fach- und Lehrbuches für ein neues ökonomisches Denken in der Wirtschaft zu sensibilisieren. Es vermittelt für die Praxis exakte Handlungsempfeh­lungen, um zu einem humanistischen Kapitalismus zu gelangen. Mit Akribie und Sorgfalt wer­den die möglichen Veränderungen der Wirtschaftsführung in der Unternehmenspraxis vorgestellt, die vor allem auch zu einer deutlichen Stärkung der demokratischen, freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft führen könnten.

Das vorliegende Fach- und Lehrbuch hat vor allem inhaltlich einen hohen Nutzen für Lehrende und Studierende, die sich mit den Grundlagen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Mikro- und Makroökonomie befassen. Es bereichert aber auch die Praxis und vermittelt für die Gebiete der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften neue ökonomische Denkansätze.

Ich wünsche dem inhaltlich sehr gelungenem Fach- und Lehrbuch, in dem John Komlos die Lehrmeinung der humanistischen Ökonomie vermittelt, eine weite Verbreitung.

 

Rezensent:
Prof. Dr. rer. oec. habil. Herbert Schirmer

Ehrenvorsitzender des Deutschen Vereins für Krankenhaus-Controlling e.V.

Ehrenpräsident des KKC – Krankenhaus Kommunikations Centrums e.V. *)

 

*) Der Verein hat nach 23 Jahren seine Arbeit eingestellt. Die Ideen des Vereins über die interdisziplinäre Kommunikation und Kooperation im Gesundheitswesen werden im Kommunikations Kompetenz Club (KKC 2.0) fortgesetzt.

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