Warum ein zentrales Datenregister?
In 2022 stehen fünf Landtagswahlen an: 27. März Saarland, 8. Mai Schleswig-Holstein, 15. Mai Nordrhein-Westfalen und am 9. Oktober Niedersachsen. Die leidvollen Erfahrungen in der Pandemiebekämpfung bei der letzten Bundestagswahl geben angesichts der heftigen Debatte um Impfpflichten Anlass zur Sorge. Erneut steht zu befürchten, dass in diesem komplexen Geschehen aus wahlpolitischem Taktieren auf der Basis einer völlig unzureichenden Datenlage gravierende Entscheidungen zu Lasten der Bevölkerung getroffen werden.
Die aktuellen Inzidenzzahlen der Omikron-Pandemie sind mit einer hohen Dunkelziffer behaftet, da die Gesundheitsämter den Meldeaufwand kaum noch bewältigen können. Zumindest in NRW sind die Schulen allein auf sich gestellt. Bis zu einem Drittel aller Schüler befinden sich derzeit in Quarantäne, ohne dass die Gesundheitsämter mit dem Melden nachkommen. Der Verzug beträgt mittlerweile mindestens zwei Wochen. Gleichzeitig gibt es in der Tagespresse die freudige Nachricht, dass sich die Omikron-Pandemie in den Schulen gerade massiv zurückbildet. Die Unikliniken in Aachen, Düsseldorf und Essen meldeten kürzlich, dass mehr als die Hälfte der gemeldeten Covid-19-Patienten nicht wegen Corona wegen anderer Erkrankungen, aber mit einer oft unentdeckten Covid-19 Infektion eingewiesen wurden. Diese Zahlen verfälschen natürlich die Statistik.
Auf der Basis dieser völlig veralteten bzw. unvollständigen Daten berechnen die epidemiologischen Modellierer unentwegt Prognosen über die weiteren Entwicklungen, welche wiederum Grundlagen für politische Entscheidungen bilden. Welche tiefgreifenden Auswirkungen solche fehlerhaften Daten nach sich ziehen, zeigte sich bereits zu Anfang der Corona-Epidemie 2020, als eine Forschergruppe um Viola Priesemann mittels einer mathematischen Modellierung das Infektionsgeschehen beschrieb. Sie wollte darauf aufbauend den positiven Effekt von drei zentralen Maßnahmen in Deutschland bestimmen. Der Kurvenverlauf der Reproduktionszahl R zeigte anhand der gemeldeten Zahlen auch erfolgreich einen starken Rückgang der Infektionen: zuerst nach der Absage der Großveranstaltungen, dann nach der Schließung von Schulen, Kindertagesstätten und Geschäften und letztendlich nach dem umfangreichen Kontaktverbot durch den Lockdown Ende März 2020.
Der fundamentale Fehler der Analyse lag in dem Zeitverzug zwischen dem tatsächlichen Infektionszeitpunkt und der zwei Wochen verspäteten Meldung an das RKI. Eine nachträgliche Korrektur zeigte deutlich, dass die massiven Maßnahmen keinen relevanten Effekt auf die Virusausbreitung zeigten, vielmehr befand sich die Pandemie schon saisonbedingt längst in der Abklingphase.
Ein weiteres Beispiel für fehlerhafte Datengrundlagen lieferte eine Modellrechnung der Leopoldina, als sie im Dezember 2021 die Wirksamkeit und damit die Notwendigkeit eines harten Lockdowns in Deutschland belegen wollte. Trotz der daraufhin erfolgten massiven Kontaktbeschränkungen verharrten die Inzidenzzahlen auf hohem Niveau. Der Lockdown war unwirksam. Dafür gingen die Zahlen in der Schweiz und in Schweden auch ohne Lockdown runter. Das Problem: Das Leopoldina-Modell verwendete Daten aus dem Frühjahr 2020, als eine völlig andere Umsetzung und Akzeptanz von Maßnahmen vorherrschte.
Dies veranlasste den Medizinstatistiker Gerd Antes, ein Pionier der evidenzbasierten Medizin und Vorstand der Cochrane Stiftung im Mai 2021 beim SWR 2 zum Ausruf „Wir befinden uns weiterhin im Blindflug!“. Er fordert seit längerem die Durchführung einer repräsentativen Kohortenstudie mit 50.000 Menschen, deren Datenpool ohne Datenschutz-Einschränkungen wissenschaftlich ausgewertet werden kann, um endlich verlässliche Informationen über die wahre Infektionslage in Deutschland zu erhalten.
Manfred Kindler, KKC-Präsident