Was tun, wenn sich niemand zuständig fühlt?
Der Anlass diesmal: die Internationale Grüne Woche findet vom 20.-29. Januar 2023 in Berlin statt. Vor zehn Jahren machte Jupp bei seinem Besuch der Messe eine interessante Erfahrung, die zu einer revolutionären Idee führte, die bei einer konsequenten Umsetzung mit einem Schlag das Leben in unserem bürokratischen Staat erträglicher gestaltet hätte.
Das Amt für Nichtzuständigkeiten (ANZ) 01.02.2023 09:00 von Ingo Nöhr
Vor kurzem traf ich Jupp vor seiner Garageneinfahrt. Er schleppte schwere Plastiktaschen ins Haus. „Na, Großeinkauf gemacht, Jupp.“ – „Nein Ingo, der steht mir noch bevor. Dies sind erst die Vorbereitungen“ keuchte er.
Neugierig geworden half ich ihm beim Tragen. Erst jetzt erkannte ich, dass er keine Lebensmittel, sondern nur Prospektmaterial in seine Tüten gepackt hatte.
„Mensch, Jupp, was hast du gemacht? Du bist ja komplett ausgepumpt!“ – „Ich war… – Grüne Woche Berlin – 25 Hallen – Gefühlte 42 Kilometer – Recherchen – Lebens.. mittel.. qualität.“
Ich ließ ihn erstmal zur Puste kommen. Bei einem starken Kaffee erhielt ich weitere Informationen. Auf der Grünen Woche hatte er Dutzende von Experten interviewt, hauptsächlich zum Thema Nudelqualität. Bei der Sonderschau des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz hat anscheinend der Frust vollends zugeschlagen.
„Ingo, du glaubst es nicht. Lebensmittelsicherheit in Deutschland – ein Labyrinth. Fragst du einen Lebensmittelexperten nach Hühnerfleisch, ist er nicht zuständig. Er ist nur Spezialist für Pflanzenbehandlungsmittelrückstände im deutschen Brotgetreide, von Hühnern hat er keine Ahnung. Dafür ist ein anderer zuständig.“
„Aber Jupp, wir haben doch extra ein Ministerium für Ernährung, das sollte doch in der Lage sein, die Menge an Informationen über die EU-Verordnungen und Richtlinien sowie die Tausenden von Normen irgendwie zu koordinieren“ wagte ich, möglicherweise etwas zu naiv, einzuwerfen.
„Sollte so sein, Ingo. Der Bund hat vor vier Jahren ein Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel gegründet. Schöne Sache, aber wenn du etwas über Fleisch wissen willst, musst du zur Zweigstelle nach Kulmbach. Für Getreide ist Detmold zuständig, für Milch und Fisch Kiel und bei Obst und Gemüse musst du nach Karlsruhe reisen.“
„Aha, Jupp – lass mich raten. Die häufigste Antwort auf deine Fragen war: Dafür sind wir nicht zuständig. Alles behördliche Spezialisten. Das kenne ich auch von anderen Ämtern.“
Jupp hatte mein Mitgefühl, nachdem ich mir schon bei vielen Angelegenheiten behördlicherseits die Füße wundgelaufen hatte.
„Alles ist bei uns überbürokratisiert. Ingo! Der Staat muss endlich etwas dagegen unternehmen. Wir brauchen dringend ein Amt für Nichtzuständigkeiten.“
„Wie, noch ein Amt? Das gibt ja noch mehr Bürokratie.“ Mir leuchtete die Idee noch nicht ein. „Und Nichtzuständigkeit – was soll das sein?“
„Das ist doch ganz einfach, Ingo. Das ist eine Behörde, die für alles dann automatisch zuständig ist, wenn sich andere Ämter für nicht zuständig erklären. Sozusagen ein Rettungsamt, wenn du durch den Dschungel der Bürokratie irrst. Du suchst nicht mehr weiter, sondern gehst gleich zum Amt für Nichtzuständigkeiten. Die werden dann dein Problem zu lösen, indem sie den zuständigen Sachbearbeiter ausfindig machen.“
„Tolle Idee, Jupp. Aber dafür brauchst du doch wieder ein Riesen-Beamtenheer. Überleg doch mal, wo sich überall die Beamten für nichtzuständig erklären können.“
Auch hier hatte Jupp gleich eine Problemlösung parat: „Warum, Beamte haben wir doch genug. Gerade wurde vor drei Monaten die ZEP in Berlin aufgelöst. Die ist genau richtig für diese Aufgabe.“
Ich kannte zwar zappen und zippen, aber von ZEP hatte ich noch nichts gehört.
„Ingo, du bist ja ganz aus der Welt. ZEP ist das Zentrale Personalüberhangmanagement, ein Beamtenpool mit Tausenden von Beamten, die mit dem Arbeitsplatzvermerk „kw – kann wegfallen“ nicht mehr gebraucht wurden. Die hat der Berliner Finanzsenator gegründet. Nun muss er nach einem Gerichtsbeschluss diese Stelle bis 2013 wieder auflösen. Und wie macht er das?“
Jupp schaute mich herausfordernd an. Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Behörde auflöst. Hat es so etwas überhaupt schon mal gegeben? Sonst gründet man doch immer neue Behörden und vergisst die alten. Wofür haben wir denn noch eine Bundesmonopolverwaltung für Branntwein oder ein Bundesjazzorchester? Die folgende Antwort von Jupp gab mir aber den Glauben an das Parkinson’sche Gesetz wieder.
„Ganz einfach und genial: Man macht aus ZEP ein EZEP.
Ich zitiere mal wörtlich:
AUFGABE DES EHEMALIGEN ZENTRALEN PERSONALÜBERHANGMANAGEMENTS (EZEP) IST DIE ABWICKLUNG DES FRÜHEREN ZENTRALEN PERSONALÜBERHANGMANAGEMENTS (STELLENPOOL) UND DIE VERSETZUNG DER IHM UNTERSTELLTEN PERSONALÜBERHANGKRÄFTE NACH MASSGABE DER GESETZLICHEN BESTIMMUNGEN.
Jetzt brauchen wir einfach nur die ehemaligen ZEP-Beamten mittels EZEP ins ANZ versetzen.“
Jupp musste meinen fragenden Blick bemerkt haben, denn er setzte gleich fort: „ANZ – na, das ist mein Amt für Nichtzuständigkeiten. Davon rede ich doch die ganze Zeit. Damit hätte ich mir heute eine Menge Zeit einsparen können.“
# # #
Die Wiederholung ist die Mutter – nicht bloß des Studierens, auch der Bildung.
Jean Paul
In der Wiederholung liegt die Vertiefung!
Carsten K. Rath
Anmerkung des Chronisten:
Alle Ideen und Gespräche von Ingo Nöhr und seinem Kumpel Jupp sind seit August 2012 wortgetreu in 120 Protokollen aufgezeichnet worden und im Medizintechnikportal.de nachlesbar.
https://www.medizintechnikportal.de/noehrs-blog.htm .
In dieser Rubrik finden Sie einige Highlights.
Das gesamte „Alte Archiv“ finden sie hier